In der Mangel: Die Geschichte des weißen Hemdes

Das weiße Hemd ist in Deutschland Business-Outfit Nummer eins, ob in Büros, Hotels oder in der Gastronomie. Wie kam es eigentlich dazu ‒ und warum ist das Hemd ausgerechnet weiß?

Unschuldig, lupenrein und wenig angreifbar: Wer kennt sie nicht, die berühmte „weiße Weste“? Nun werden diese Attribute heutzutage weniger ärmellos als vielmehr in Form von Hemden und Blusen getragen, und das nicht nur im Rahmen privater Feierlichkeiten, sondern ebenfalls im beruflichen Kontext. Ob Stehkragen, Umschlagkragen, lange oder kurze Ärmel, aus Baumwolle, Leinen oder Synthetik, oversized oder Slim Fit: Das weiße Hemd bietet mehr Facetten, als man sie einem Basic-Kleidungsstück zunächst zutrauen würde.

Kaum ein Kleidungsstück erfreut sich größerer Beliebtheit als das weiße Oberhemd. Vom Pflegepersonal über Dienstleister in der Gastronomie bis hin zur Chefetage wird gerne zum Klassiker gegriffen, denn schließlich kleidet man sich so nicht nur mit irgendeinem Stoff, sondern auch gleich mit einem ganzen Wertekanon. Ein Blick in die Geschichte des weißen Hemdes zeigt nicht nur die Herkunft dieses Trends, sondern auch die gesellschaftlichen Hintergründe, die wir heute noch im wahrsten Sinne des Wortes mit uns herumtragen.

Vom Adel zum Alltagsstück

Ursprünglich waren weiße Hemden nämlich dem Adel vorbehalten und somit klar als Statussymbol erkennbar. Der Träger war nicht nur zu ausgiebiger Körperhygiene verpflichtet, sondern verfügte in der Regel auch über das Privileg, sich von körperlicher Arbeit fernzuhalten. Schließlich galt es, die stoffgewordene Reinheit nicht zu gefährden. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts also stand das Kleidungsstück für Wohlstand

Erst Anfang des 20. Jahrhunderts etablierte sich das geknöpfte Kleidungsstück auch in der Damengarderobe, ein Terrain, das es zunächst über den Reitsport eroberte, ehe es in der Freizeitkleidung Einzug erhielt. Der vollständige Unisex-Gedanke wird jedoch bis heute vom Revers zurückgehalten, denn während Herrenhemden von links nach rechts geknöpft werden, müssen die Frauen von rechts nach links Hand anlegen. Auch das hat einen historischen Hintergrund: Die Trendsetter der Vergangenheit waren gut betuchte Damen, die sich in der Regel von Zofen anziehen ließen. Somit wurde das Knöpfen von Blusen spiegelverkehrt organisiert.

Souverän dank weißem Klassiker

Heute hat sich das einst noble Teil zwar längst demokratisch etabliert und ist nicht mehr nur für Oberschichten zugänglich. Die Aura der Geschichte scheint jedoch fest in den Fasern versponnen zu sein, denn nach wie vor gilt: Wer sich mit weißem Kragen zeigt, vermittelt eine klare Ausstrahlung: ordentlich, souverän und selbstbewusst ‒ Eigenschaften, die in vielen Berufsgruppen gefragt sind und gerne nach außen getragen werden.

Neben der metaphorischen Ebene gibt es aber vermeintlich noch ganz praktische Gründe, seine Arbeit im blütenreinen Weiß zu verrichten. Der initiale Gedanke mag vielleicht sein, „Wird das nicht schnell dreckig?“, die valide Antwort lautet allerdings: „Das wird vor allem schnell wieder sauber.“ Stoffe ohne Farbpigmente konnten schon in grauen Vorzeiten besonders hygienisch und ohne Angst vor Qualitätsverlust gereinigt werden. Angesichts von Bleichmitteln, hohen Temperaturen und Chemikalien sind weiße Stoffe oft relativ unempfindlich. Heute jedoch sind die Technologien zur desinfizierten Aufbereitung so weit fortgeschritten, dass die intensive Reinigung und Hygiene für Kleidungsstücke jeder Couleur garantiert werden können.

Die Wahl der Farbe Weiß darf und kann 2022 also eine ganz bewusste sein. Der Beliebtheit wird das keinen Abbruch tun, denn auch modisch ist der reduzierte Klassiker ein unangefochtener Evergreen. Schließlich gab schon Karl Lagerfeld zu Protokoll: „Wenn man mich fragen würde, was ich in der Mode gerne erfunden hätte, wäre die Antwort: das weiße Hemd. Für mich ist es die Basis, alles andere kommt danach.“

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