Ob in der Tischlerei oder im Tiefbau: Frauen haben es im Handwerk nicht leicht. Trotz Fachkräftemangels gibt es viele Hürden – bis heute. Wie könnte man das in Zukunft ändern? Frauen liefern Lösungsansätze.
Ob Tischler, Heizungsmonteure oder Elektriker – in Deutschland gibt es zu wenig Handwerker. Dabei wird eines immer klarer: Ohne Frauen wird es in Zukunft nicht gehen. Im Kampf gegen den Fachkräftemangel sind sie ein entscheidender Faktor. Und trotzdem sind sie in den Berufen rar. Laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2022 nur 10,8 Prozent der Erwerbstätigen im Handwerk Frauen – in männlich geprägten Domänen teilweise sogar noch weniger. Wie kommt dieses Ungleichgewicht zustande?
Ungleichgewicht startet schon im Praktikum
Christina Völkers ist Leiterin der Koordinierungsstelle zur Frauenförderung bei der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade und verfolgt den Wandel der Frauenrolle im Handwerk bereits seit einigen Jahren. „Es fängt schon bei den Praktikumsplätzen an“, sagt sie. „Wir bekommen viele Rückmeldungen von Frauen, die versuchen, sich in verschiedenen Betrieben zu bewerben, und nirgends angenommen werden.“ Immer noch der häufigste Grund: die alten Rollenbilder und Klischees. Frauen seien zu schwach, um körperlich zu arbeiten, oder nicht hart genug im Nehmen, um sich auf einer Baustelle durchsetzen zu können.
„Auch die fachliche Eignung wird infrage gestellt: von den Vorgesetzten, den eigenen Kollegen, den Kunden – manchmal sogar von der eigenen Familie oder dem Freundeskreis“, sagt Völkers. Dazu liege die Messlatte für Frauen wesentlich höher als für Männer – ob in den Betrieben, in der Ausbildung oder in den Prüfungen, wo bei Frauen ganz genau hingesehen wird. „Man bekommt sozusagen von allen Seiten Gegenwind“, so Völkers. Für Frauen im Handwerk bedeutet das: selber kämpfen – oder aufgeben. Völkers kennt zahllose Beispiele für beide Seiten.
Mehr Frauen fürs Handwerk: So gewinnen Betriebe Mitarbeiterinnen
Um mehr Frauen fürs Handwerk zu gewinnen, sind auch Betriebe gefragt. Schon mit kleinen Änderungen können sie Großes bewirken. Völkers rät, sich das Betriebsklima anzuschauen: „Können Frauen sich überhaupt wohlfühlen bei uns?“ Ob diskriminierende Witze auf der Baustelle, pornografische Kalender in der Werkstatt oder sexistische Werbung auf dem Firmenfahrzeug – für eine Frau ist das alles andere als einladend. „Es ist dann die Aufgabe des Vorgesetzten, bei solchen Dingen durchzugreifen und zu zeigen: So etwas wollen wir hier nicht“, sagt Völkers.
Dazu kommen Kleinigkeiten wie Umkleideräume oder Toiletten: Es sei nicht mehr nötig, getrennte Räume zu haben – ein Schlüssel reiche vollkommen. Auch eine vollständige Kostenübernahme der Arbeitskleidung sei schon ein Schritt in die richtige Richtung: Oftmals ist diese nämlich teurer als die Arbeitskleidung der Männer, und es habe schon Fälle gegeben, in denen die Frau die Differenz selbst zahlen musste. „Das sind alles Dinge, die man schnell ändern kann“, sagt Völkers.
Eine Initiative, die Frauen und Mädchen den Weg ins Handwerk in Zukunft erleichtern soll, ist „Handwerk ist hier auch Frauensache“ vom Bundesverband der Unternehmerfrauen im Handwerk (UFH). Mit einem neuen Siegel können Betriebe, die Frauen aktiv unterstützen und fördern, zeigen, dass weibliches Personal bei ihnen willkommen ist. Auch Schulen und Ausbildungsinstitute können ihren Teil dazu beitragen, dass Frauen öfter den Weg ins Handwerk finden: indem sie interessierte Mädchen unterstützen und weibliche Vorbilder in den Klassenraum holen.
Familienplanung und Selbstständigkeit – die große Unvereinbarkeit?
Darüber hinaus gibt es natürlich auch die Möglichkeit, sich mit einem eigenen Betrieb selbstständig zu machen. Für Frauen ist das allerdings nicht einfach. Eine ganz entscheidende Hürde ist die Familienplanung. Johanna Röh ist selbstständige Tischlermeisterin im niedersächsischen Alfhausen und kann davon ein Lied singen: Sie stieß in ihrer Schwangerschaft an die Grenzen unseres Systems. „Unser System ist nicht darauf ausgelegt, schwangere Selbstständige abzusichern“, sagt sie. „Hätte ich keinen Partner gehabt, der mich in meiner Schwangerschaft und auch danach finanziell unterstützt, hätte ich meine Werkstatt nicht halten können.“ Denn eine richtige Versicherung gibt es für schwangere Selbstständige nicht.
Im Mutterschutz können sich selbstständige Handwerkerinnen lediglich über das Krankengeld oder das Krankentagegeld „absichern“. Bei Röh waren das 6,61 Euro am Tag: „Dann kann man sich entscheiden: Nehme ich diese 6,61 Euro oder arbeite ich weiter?“ Für viele sei die Antwort klar. Selbstständige Frauen sind im Mutterschutz in den meisten Fällen gezwungen, weiterzuarbeiten – selbst wenn es bei Angestellten im gleichen Beruf während dieser Zeit ein Beschäftigungsverbot gibt.
Röh machte das wütend: Noch während ihrer Schwangerschaft startete sie eine Petition. Ihr Anliegen: Mutterschutz für alle. „Es wäre zum Beispiel gut, als schwangere Selbstständige eine Vertretungskraft finanziert zu bekommen oder die Betriebskosten im Mutterschutz absichern zu können“, so Röh. „Ich würde mir wünschen, dass diese Absicherung solidarisch getragen wird – von allen Unternehmerinnen und Unternehmern, nicht nur von den schwangeren Frauen selbst.“ Familienplanung gehe schließlich alle etwas an.
Mit ihrer Petition schaffte sie es bis in den Bundestag. Alle Parteien stimmten einstimmig für eine Veränderung. Doch wirklich getan hat sich seitdem nichts: „Weil wir zu wenige Frauen in der Selbstständigkeit sind, haben wir keine gute Lobby und werden deshalb als Randgruppe und damit als nicht wichtig genug erachtet“, sagt Röh. Mit ihrem gemeinnützigen Verein kämpft sie mit zehn weiteren Personen deshalb auch künftig um mehr Anerkennung für Frauen im Handwerk – und versucht, eine Art Lobby zu sein.
Selbstbewusst in die Zukunft: Wertewandel in den Handwerksberufen
Völkers sieht trotz aller Hürden eine positive Entwicklung, vor allem bei jungen Frauen. Sie seien selbstbewusster, hartnäckiger und gesellschaftlich bereits anders geprägt. Auch die jungen Männer unterstützten Frauen heute mehr. „Durch die jungen Leute passiert ein Strukturwandel, ohne dass von außen eingegriffen wird“, sagt Völkers. Davon profitieren letztendlich beide Seiten: Die Jungen nehmen das Fachwissen der Älteren mit, und die Älteren fallen unbewusst aus ihren traditionellen Mustern.
„Das Wichtigste bleibt: Man darf sich nicht beirren oder verunsichern lassen. Frauen können jeden Job machen, wenn sie denn wollen“, sagt Röh. Völkers wünscht sich für die Zukunft, dass man nicht immer den Frauen als Zielgruppe sagt, wie sie die Entwicklung im Handwerk vorantreiben können, „sondern auch mal bei denjenigen anfängt, die die Entwicklung behindern“.
So könnte es bald mehr Frauen in Handwerksberufen geben, vielleicht sogar ganz ohne die alten Klischees. „Es ist noch viel zu tun, doch irgendwann wird sich auch dieses Thema erledigt haben – vielleicht in 40 Jahren“, meint Völkers. „Die Frage ist nur: Will man so lange warten?“
Viele Handwerksbetriebe suchen nicht nur dringend Fachkräfte, sondern auch neue Inhaberinnen und Inhaber. Doch wie regelt man eine Unternehmensnachfolge am besten? In diesem Blogbeitrag erfahren Sie, wie ein Generationswechsel im Handwerk ganz problemlos verlaufen kann.