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Lieber flexibel bleiben – Interview mit Prof. Peter Wippermann

PROF. PETER WIPPERMANN IST TRENDFORSCHER, BERATER, AUTOR UND KEYNOTE-SPEAKER FÜR ZUKUNFTSTHEMEN.

Der Statuscharakter von Luxusmarken ist gesunken, die Zeit des Besitzens von Prestigeobjekten ist vorbei. Heute wird geteilt: Autos, Musik, Wohnungen. Im Interview verrät Trendforscher Prof. Peter Wippermann, warum der schnelle und flexible Zugang zu Objekten wertvoller geworden ist als Eigentum an sich.

MEWA / Der Grundgedanke der Sharing Economy ist, dass sich der Wohlstand für alle erhöht, je mehr geteilt wird. Was halten Sie von kollaborativem Konsum?

PW/ Wir haben heute eine andere Art von Wohlstand, als es noch in den besten Jahren der Industriekultur der Fall war. Wohlstand ist nicht mehr allein durch Besitz gekennzeichnet, sondern vor allem durch das Wissen, Dinge nutzen zu können. Das kann man leicht an einem Beispiel aus der Modebranche beschreiben: Die Produktion von Kleidung ist in den vergangenen Jahrzehnten immer preiswerter geworden, die Intervalle werden immer kürzer. „Fast Fashion“ ist der Ausdruck unserer Gegenwart. Gleichzeitig haben viele Menschen im privaten Bereich angefangen, Secondhand-Mode interessant zu finden.

MEWA / Ist die Sharing Economy also nur eine weitere Form des Kapitalismus? Oder geht es ihr, wie beim Aspekt Secondhand-Mode, um Werte, die der Gesellschaft wichtig sind?

PW/ Die Sharing Economy ist aus der simplen Idee entstanden, sich gegenseitig zu helfen. Ihr Ursprung sind also soziale Beziehungen. Erst danach kamen Technologien hinzu, die die Organisation der sozialen Beziehungen erleichtert haben. Airbnb beispielsweise, eine Plattform für die Buchung und Vermietung von Unterkünften, wurde von drei Start-up-Unternehmern gegründet, um anderen Jungunternehmern für kein oder wenig Geld eine Übernachtungsmöglichkeit zu bieten. Es handelte sich also anfangs um Kollegenhilfe unter Industriedesignern, eine sehr spannende Geschichte. Erst viel später realisierte ein IT-Spezialist die digitale Plattform, um daraus ein globales Konzept zu machen, aus dem sich eine Wirtschaftsenergie entwickelte, die in fast allen Branchen im Moment zu beobachten ist. Mittlerweile ist Airbnb so erfolgreich, dass sich die Politik einmischt und dass Hotelgesellschaften auf einmal weniger wert sind als das ehemalige Start-up aus San Francisco.

MEWA / In welchen Branchen beobachten Sie die angesprochene Entwicklung?

PW/ Am aufregendsten ist es derzeit im Bereich Mobilität, weil wir dort den radikalsten Ansatz haben: vom Besitz eines Autos hin zur Nutzung eines autonom fahrenden Roboterautos. In der Reisebranche hat es sich längst durchgesetzt, private Wohnungen auf Zeit zu nutzen, und auch in der Musikindustrie hat Sharing ein hohes digitales Niveau erreicht. Hier sind es vor allem die individuellen Möglichkeiten, die den Nutzern gefallen: Ich kann mir jederzeit Musik aussuchen und anhören, ohne sie zu besitzen. Das ist längst eine Selbstverständlichkeit.

Berufe im Mobilitätsbereich verändert sich durch und mit der Sharing Economy.
Im Bereich Sharing Mobility tut sich gerade unglaublich viel.

MEWA / Ist Sharing ein Trend, der bald vorbei ist? Woher kommt die Einsicht, dass man keine Statussymbole mehr braucht?

PW/ Die Exklusivität der Produkte ist heute nicht mehr so gegeben wie früher. Früher war Luxus wirklich teuer. Durch die Imitation von Luxusprodukten ist ihr Statuscharakter gesunken. Gleichzeitig hat die Optionsvielfalt zugenommen. Der Konsument wünscht sich immer häufiger, dass er Produkte wechseln kann und sich nicht mehr langfristig an diese bindet. Wenn ich unter der Woche beispielsweise einen Elektroroller und am Wochenende ein SUV fahren möchte, kann ich mir natürlich beide Fortbewegungsmittel kaufen oder aber spontan agieren, indem ich mir beide ausleihe. Falls das Wetter schöner wird als erwartet, entscheide ich mich dann doch gegen das SUV und für ein Fahrrad. Die Flexibilität des Nutzens ist höher als die des Besitzens.

MEWA / Eine Flexibilität, die ohne das Internet nicht möglich wäre?

PW/ Keine Chance! Das Stichwort hierfür ist die Datafication, die viele Aspekte unseres Lebens in computerisierte Daten und Algorithmen verwandelt, soziale Beziehungen ebenso wie die Abrechnung von Dienstleistungen. Das Internet fungiert als Rationalisierungsebene, also als die Möglichkeit, Anbieter und Nutzer miteinander zu verbinden. Dabei spielt der Faktor Zeit eine große Rolle, denn eine digitale Plattform verringert den Verwaltungsaufwand einer analogen Welt. Stellen Sie sich einmal analoges Bikesharing vor: Sie müssen zu einem Fahrradverleih „fahren“, sich per Formular für einen bestimmten Tag anmelden und so weiter. Mit einer App ist das alles total einfach, via GPS werde ich zum nächsten verfügbaren Fahrrad gelotst, die Bezahlung wird nach Abstellen des Fahrrads automatisch abgewickelt. Das Internet ist heutzutage eine ökonomische Voraussetzung für die Sharing Economy.

MEWA / Was halten Sie von Textilsharing?

PW/ Nach Mobilität und Unterkünften ist Kleidung ein wichtiger Treiber der Sharing Economy. In Deutschland kann man bei Tchibo Share Baby- und Kinderkleidung mieten statt kaufen. Die Secondhand-Plattform Kleiderkreisel organisiert Mode zum Tauschen, Verkaufen oder Verschenken. MEWA bietet Arbeitskleidung und Putztücher explizit unter Textilsharing an. Der Aspekt, Textilien komfortabel zur Verfügung zu haben und sich ansonsten um nichts kümmern zu müssen, ist bei diesem Thema absolut überzeugend. Weltweit ist die Sharing Economy für Kleidung und Textilien erfolgreich. Das hat ökologische und ökonomische Gründe. Im Modebereich muss Neues nicht mehr neu sein: Vintage ist seit langem ein Fashionstatement der Jugendkultur.

MEWA / Wer sich Dinge ausleiht, lernt Menschen kennen, denen er unter anderen Umständen vielleicht niemals begegnet wäre. Kommt daher der Spruch „Wer teilt, gewinnt“?

PW/ Wir Menschen haben soziale Sehnsüchte, wir möchten Anerkennung, wir möchten Rückmeldung, Teil einer Community sein. Über viele Jahre hinweg herrschte enorme Preisorientierung, die Idee lautete „Geiz ist geil“. Heute geht diese Einstellung weg vom „Price Value“, klar in die Richtung „Social Value“. Soziale Beziehungen sind heute wichtiger als Preisvorteile. Lediglich bei der kurzfristigen Nutzung nehmen wir einen Preisvorteil in Anspruch, ansonsten sehen wir, dass das Thema Sharing soziale Qualitäten hat, Ressourcen bedenkt, auf Langlebigkeit und Reparierbarkeit setzt.

MEWA / Vor etwas mehr als 20 Jahren wurde das World Wide Web eingeführt, das erste Smartphone gibt es seit noch nicht einmal 15 Jahren. Wie leben wir in 20 Jahren?

PW/ In 20 Jahren wird Co-Living einen neuen Status haben, sowohl bei den Heranwachsenden als auch bei denen, die erfolgreich im Berufsleben stehen und viel unterwegs sind. Die Vorteile geteilten Wohnraums sind bezahlbarer Komfort, die Möglichkeit der Nutzung von Gemeinschaftsräumen und gleichzeitig die Chance, sich in seine Privaträume zurückzuziehen.

Interview Christina Rahmes

Foto Bernd Opitz

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