In Deutschland hat das Handwerk nicht nur ein Nachwuchs-, sondern teilweise auch ein Imageproblem. Cornelia Lutz, Koordinationsleiterin des Branchenevents ZUKUNFT HANDWERK, erläutert im Gespräch die Möglichkeiten für einen Imagewandel und wie junge Menschen für Handwerksberufe begeistert werden können.
Wie groß der Fachkräftemangel in der Handwerksbranche tatsächlich ist, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Laut dem Zentralverband des Deutschen Handwerks fehlen insgesamt 250.000 Fachkräfte. Auch die Nachwuchsfindung gestaltet sich mehr als schwierig. Circa 20.000 Ausbildungsplätze sind derzeit unbesetzt, viele Betriebe suchen vergeblich nach Auszubildenden.
„Auf diese Zahlen müssen wir einfach reagieren“, findet Branchenexpertin Cornelia Lutz. Sie ist seit fast zehn Jahren Bereichsleiterin für B2C-Messen und Koordinationsleiterin der Handwerkspolitik sowie der ZUKUNFT HANDWERK bei der Gesellschaft für Handwerksmessen. Im Interview spricht Frau Lutz über den aktuellen Stellenwert der Branche innerhalb der Gesellschaft, einen möglichen Imagewandel und die Vorteile, die Handwerksberufe bieten können.
Frau Lutz, was sind die Besonderheiten von ZUKUNFT HANDWERK im Vergleich zu einer klassischen Messe?
Frau Lutz: „ZUKUNFT HANDWERK ist ein B2B-Kongress, bei dem der Schwerpunkt auf dem Netzwerkgedanken liegt und darauf, sich gegenseitig auszutauschen. So bringen wir das gesamte Handwerk zusammen: Betriebe, Organisationen wie die Kammern und Verbände, aber auch die Politik. Eine der zentralen Fragen lautet: Was braucht es für veränderte Rahmenbedingungen, damit das Handwerk eine Chance hat, sich künftig besser aufzustellen? Dafür ist es eben sehr wichtig, dass die Politik mit der Branche in Dialog tritt. Für 2024 konnten wir wieder Wirtschaftsminister Robert Habeck als Schirmherr für ZUKUNFT HANDWERK gewinnen. Aus unserer Sicht müssen die Gewerke künftig mehr miteinander kooperieren – deshalb wird gewerkeübergreifendes Netzwerken immer wichtiger.“
Welches Image haben Handwerksberufe aktuell?
„Noch immer unterschätzen die meisten Menschen, wie vielfältig Handwerksberufe sind. Berufe aus dem Kunsthandwerk sind beispielsweise selten bekannt. Auch wissen viele nicht, wie modern und innovativ Handwerksbetriebe aufgestellt sind. Bei Themen wie Digitalisierung oder KI denken alle nur an große Konzerne und vergessen dabei den Mittelstand. Zudem ist die Gesellschaft insgesamt schnell dabei zu sagen: Ein Studium ist mehr wert als eine handwerkliche Ausbildung. Das ist aber nicht richtig.“
Woher kommt diese Wahrnehmung in der Gesellschaft?
„Ich glaube, die Branche hat lange die falschen Bilder gesendet. Gerade in der Öffentlichkeitsarbeit wurde häufig die Arbeit von Großkonzernen kommuniziert. Dabei ist in Deutschland der Mittelstand der Ort, wo das Handwerk zu Hause ist. Zudem bin ich überzeugt, dass der hohe Stellenwert eines Studiums eine bedeutende Rolle spielt. Studieren ist wichtig und mit einem gewissen gesellschaftlichen Status verbunden. Leider besteht heutzutage immer noch die Tendenz, intellektuelle Arbeit höher zu bewerten als praktische Tätigkeiten – ein Denkmuster, das es in unserer Gesellschaft zu überdenken gilt.”
Wie kann ein solches Umdenken angestoßen werden?
„Das Handwerk hat in den letzten Jahren eine Image-Kampagne umgesetzt. Mithilfe von Social Ads, Fernsehspots und Plakaten wurde mit starken Botschaften versucht, den Mehrwert und die Vielfältigkeit im Handwerk authentisch zu vermitteln. Zudem arbeiten wir auch mit Influencern zusammen, die zeigen, wie stolz sie auf das sind, was sie tun. Damit motivieren sie andere, sich mit den unterschiedlichsten Handwerksberufen auseinander zu setzen.“
Können Sie schon beobachten, dass sich das Image der Branche wandelt?
„Das Image verbessert sich zum Glück deutlich. Vor allem durch die Energiewende oder andere Nachhaltigkeitsthemen hat die Gesellschaft gemerkt, wie wichtig das Handwerk ist. Dadurch bekommt die Branche einen neuen Stellenwert. Aber das soziale Umfeld hat immer noch den größten Einfluss, wenn es bei Schulabgängern um die Berufswahl geht – Stichwort Fachkräftemangel. Je früher junge Menschen mit dem Handwerk in Berührung kommen, desto eher können sie sich dafür entscheiden. Gerade wenn das private Umfeld keinen Bezug zum Handwerk hat, müssen Schulen diesen Zugang ermöglichen – und das macht unser Bildungssystem bisher nicht.“
Was meinen Sie, warum ist das so? Und wie könnte der von Ihnen geforderte Zugang aussehen?
„In der Schule gibt es kaum noch Fächer, in denen man kreativ und handwerklich arbeitet. Aber gerade bei jungen Menschen geht es darum, persönliche Vorlieben zu entdecken und sich auszuprobieren. Um einen Zugang zum Handwerk zu bekommen, braucht es Unterrichtsfächer, in denen man mit den Händen arbeitet – das fehlt derzeit aus meiner Sicht. Vereinzelt gibt es aber auch Lichtblicke: der „Tag des Handwerks“ in Bayern zum Beispiel. Das ist ein verpflichtender Tag für Schulen, an dem Schüler Handwerksberufe kennenlernen. Dabei geht es darum, der Branche ganz bewusst einen Tag zu widmen, um dem Handwerk wertschätzend gegenüberzutreten und es wieder fest in der Bildungspolitik zu integrieren.“
Ganz allgemein: Welche Vorteile bieten Handwerksberufe, etwa im Vergleich zu Bürojobs?
„Im Handwerk schaffe ich etwas Nachhaltiges, und ich sehe sehr schnell, was ich geleistet habe. Und ich habe als Person eine ganz andere Stellung im Betrieb, als das häufig in Konzernen der Fall ist. Zudem bieten Handwerksberufe Sicherheit sowie eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Denn viele Betriebe sind sehr solide aufgestellt und haben gute Möglichkeiten sich weiterzuentwickeln. Ich denke da etwa an die Meisterausbildung, Betriebsführung oder eine Selbstständigkeit. Und die Digitalisierung macht es möglich, Betriebe innovativ zu gestalten und so die technische mit der handwerklichen Arbeit zu verbinden.“
Welche Tipps können Sie Handwerksbetrieben geben, die Probleme haben, Nachwuchs zu finden?
„Auf der Suche nach neuen Azubis ist Social Media wichtig. Allerdings nicht erst dann, wenn man eine Stelle besetzen möchte. Man sollte vielmehr den Mitarbeitern fortlaufend eine Plattform bieten, auf der sie den Arbeitsalltag zeigen und die Begeisterung für den Beruf nach außen kommunizieren können. Zudem braucht es Kontakt in der Region: In Schulen gehen, sich mit älteren Jahrgängen austauschen und Betriebsausflüge, Workshops sowie Praktika anbieten. Ebenso lohnt es sich, junge Frauen anzusprechen, um diese zu motivieren, den Weg ins Handwerk zu finden. Betriebe sollten aktiv kommunizieren, dass es hier keine Berührungsängste geben muss.“
Ob in der Tischlerei oder im Tiefbau: Frauen haben es im Handwerk nicht leicht. Trotz Fachkräftemangels gibt es viele Hürden – bis heute. Wie könnte man das in Zukunft ändern? Frauen liefern Lösungsansätze. Jetzt lesen in unserem Blogbeitrag “Mehr Frauen im Handwerk“.